Jakob Lorber: 'Die zwölf Stunden'


4. Stunde


Inhaltsübersicht:


   01] Und nun sehet her auf die Fläche. Wieder ein anderes Bild; es ist allda nichts zu sehen, als Woge an Woge, und wie eine Flut die andere treibt. Ich darf Euch nur sagen: Es ist dieses Bild nichts anderes, als ein kleiner Teil des atlantischen Meeres, und in dieser vierten Stunde wollen wir uns somit auch auf dieser großen Wasserfläche ein wenig herumtummeln, um hie und da ein wenig dem Tun und Treiben der schwimmenden Häuser zuzusehen. -
   02] Nun sehet her! Da auf dem westlichen Rande der Platte zeigt sich soeben ein großes sogenanntes Linienschiff, und sehet, zu dessen Seite noch eine Menge anderer kleinerer Fahrzeuge unter verschiedenen Benennungen. Nun, wir wollen dieses Schiff ein wenig verfolgen, und sehet dahier auf dieser Seite im tiefen Süden zeigt sich eine ziemlich bedeutende Insel; sehet, das Schiff geht in gerader Linie auf diese Insel los. Was meint ihr wohl, was dieses Schiff im Schilde führt? - Ratet ein wenig, blicket hinein in seine Vorratskammern; sehet, es ist wenigstens auf 6 Jahre verproviantiert. Schauet in die goldene Kajüte des Kapitäns; seht auf die Tische hin, und ihr werdet finden Karten der Länder und die verschiedenartigsten Meßinstrumente. Nun dürftet ihr wohl schon beinahe erraten, was dieses Schiff im Schilde führt; nur wartet noch ein wenig. Betrachtet die Mienen des Observators am hohen Maste, wie er mit einem Rohre versehen nach allen Seiten herumstiert und die unübersehbare Wasserfläche von Woge zu Woge mustert; aber noch immer erblickt er kein Land. Seht, wie Verzweifelnde rennen die Menschen am Verdecke des Schiffes durcheinander; denn die lange dauernde Seefahrt hat ihnen das süße Wasser aufgezehrt. Nun sehet ein wenig die Szene! Sehet, dahier werden Lose in einen Topf geworfen; sehet nun ziehen sie. Ein armer Neger hat das Los gezogen; seht nun wird er entkleidet, seine Augen werden ihm verbunden; beide Arme an der Achsel fest unterbunden. Sehet, es naht sich der Scherge und öffnet ihm die Adern, und das Blut, das aus seinen Adern entströmt, wird alsogleich mit etwas Rum vermenget, zur Stillung des Durstes getrunken, der entblutete Neger aber wird alsobald über Bord in's Meer geworfen; und weil dieser Trank nicht für alle hinreichte, so wird dieses Verfahren noch an einigen vollzogen und aus ihren Adern der Bluttrank bereitet. Obschon diese Szene zu den äußerst seltenen gehört, und nur in der äußersten Wassernot dazu geschritten wird, so ist sie deswegen nichts desto weniger als zu entschuldigen; ja es wäre ein anderes, wenn in einer solchen Not sich einer oder der andere aus übergroßer Nächstenliebe entschließen möchte, seine Brüder zu ihrer Rettung vom Tode mit seinem Blute zu tränken, welche Tat dann wirklich für den, der solches täte, ein großes Zeugnis seiner Nächstenliebe wäre; aber auf diese Art ist es ein Greuel, und es wäre besser, Tausende opferten sich freiwillig für einen, als daß einem eine solche grausame Tat angetan wird. - Aber nun sehet, der Observator schreiet 'Land' vom Korbe; sogleich ist alles heiter auf dem Schiffe, alle Segel werden, wie ihr sehet, nach dieser Insel hingerichtet. Sehet, wie ein Pfeil fliegt das Schiff über turmhohe Wogen dahin, und sehet, sie haben soeben eine Bucht erreicht; die Anker werden geworfen, alle Mannschaft bis auf die nötigen Wachen eilet in die kleinen Fahrzeuge und mit diesen an die Küste. Sehet wie sie da an der Küste alsobald eine frische Quelle entdecken, und es nun toll und voll zugeht, um das frische Wasser zu nehmen; und so ist in einigen Stunden das Schiff wieder mit süßem Wasser versehen, und wird jetzt alles wieder flott gemacht. Langsam bewegen sich nun die Fahrzeuge längs der Küste, um zu sehen, ob dieses Land schon irgend bewohnt ist, oder nicht? Sie entdecken nun soeben einen Ort, aus einfachen runden Hütten bestehend; sogleich näherten sie sich diesem Orte. Es wird gelandet und ans Land gestiegen; die Bewohner von dem Kanonendonner aufgeschreckt, ergreifen die Flucht; aber alsobald werden ihre Hütten klein durchsucht, und was da gefunden wird, wird in Empfang genommen, was es nur immer sei, und welchen Namen es auch haben möge. Sehet, da wurde schon ein armes Völklein seiner ganzen Habe beraubt; allein das ist noch nicht alles von dieser Szene. Diese armen Fliehenden werden verfolgt, nicht selten fast gänzlich aufgerieben, oder, wenn es gut geht, wenigstens gefangen genommen und als gute Handelsprise nach Zeit und Gelegenheit in Amerika verkauft. Sehet, nun werdet ihr schon wissen, was dies für ein Schiff war, und was es im Schilde geführt. Seht, es war ein Schiff, das auf Entdeckungsreisen ausgeht.

   03] Lassen wir aber dieses Schiff nun seinen infam schlechten Weg fernerhin verfolgen, sehet, dahier ist schon ein anderes. Jedoch dieses Schiff, was ihr jetzt sehet, zeig' Ich euch im Geiste nur; denn es ist schon im Jahre 1835 im mittelländischen Meere entdeckt worden von einem andern französischen Schiffer, und wurde auch sogleich vernichtet. - Jetzt aber zeige Ich es euch, wie es vor dieser Zeit im atlantischen Meere sein Unwesen trieb. Wohlgemerkt, es ist dieses etwa nicht das einzige; wohl bei 20 Schiffe der Art treiben sich noch gegenwärtig in den atlantischen Gewässern, Unheil bringend herum. Die Herren dieser Schiffe sind meistens Spanier und Portugiesen, und nur 4 darunter sind muselmännisch.
   04] Und sehet, dieses Schiff läuft so eben voll mit Sklaven bepackt von der Küste Afrika's ab, um dieselben nach Amerika an einen dortigen abermaligen Sklavenhändler zu verkaufen; aber nun sehet her, kaum 200 Seemeilen von der Küste entfernt, wird es von einem englischen Schife entdeckt, verfolgt und gefangen genommen. Die Matrosen wehren sich verzweifelt, allein es nützt nichts; die Macht des englischen Schiffes ist diesem Raubschiffe bei weitem überlegen, und so muß sich dasselbe ergeben. Die englischen Matrosen steigen nun alsobald auf das Verdeck dieses Schiffes, befreien die Sklaven, und bringen dieselben auf ihr Schiff unter eine etwas bessere Pflege. Was geschieht aber mit diesem Raubschiffe? Da sehet nur recht genau her, ihr werdet es gleich entdecken. Sehet, wie emsig die englischen Matrosen, also kommandiert von ihrem Befehlshaber, die sämtliche Mannschaft dieses Schiffes ausziehen, ihre Kleider ins Meer werfen, die Menschen aber mit langen spitzigen Nägeln nach der Ordnung der Sklavenlagerung an's Verdeck annageln, den Kapitän aber auf dem Maste bei den Händen mit dem Gesichte auswärts aufhängen und seine Füße mit einem Stricke unter dem Maste befestigen; und als sie mit dieser Arbeit nun fertig sind, gehen sie in die Kajüten, nehmen noch alles Brauchbare zu sich, spannen dann die Segel dieses Schiffes, verlassen es dann, natürlich in ihr Schiff zurückkehrend, und geben es mit dem gellendsten Jammergeschrei von dem Verdecke dem Winde preis. -
   05] Sehet und denket, was da am Ende herauskommen muß, wenn eine Grausamkeit gegen die andere also bloß nach grausamer Laune auftritt! - und denket, wie sich solche Szenen im Angesichte Dessen ausnehmen, der noch am Kreuze sterbend für seine Feinde den Vater um Vergebung bat! -
   06] Gäbe es denn keine anderen Mittel, um das Übel des Sklavenhandels zu unterdrücken, als gerade solche, die entweder so oder so, doch stets mit dem Siegel der kaum denkbaren Grausamkeit bezeichnet sind. Aber ihr werdet fragen, was haben denn die Sklavenbefreier jetzt mit den Sklaven getan? Meinet ihr, sie haben dieselben etwa zurück in ihr Vaterland gebracht; o nein, das haben sie nicht getan. Sie verkauften zwar dieselben auch nicht; aber sie behielten sie in eigenen Diensten, da sie selbst Besitzungen in Amerika hatten; und auf diese Art kamen sie ihnen natürlich viel billiger, als wenn sie sie hätten kaufen müssen. - Und so sehet, wird jetzt gegen diesen Sklavenhandel von Seite Englands wohl große dagegen strebende Aufsicht gepflogen. Wird nun ein solches Schiff, mit Sklaven bepackt, entdeckt, so wird es alsobald gewaltig strafend gefangen genommen, die Sklaven werden frei gemacht, und dort entweder frei zur Arbeit verwendet, häufig aber dann auch aus freier Hand verkauft; und so ist dann diese Handlungsweise nichts anderes, als was das alte römische Sprichwort sagt: Scyllam prateris, Charybdim invadis.
   07] Sehet, dieses zeigte Ich euch bloß darum, damit ihr euch den wahren Begriff von der sogenannten Aufhebung des Sklvenhandels machen könnet. Und so bleibt ein schnöder Kaufmann ein Kaufmann, und scheut sich gar nicht, in Meinem Heiligtume seine schändlichen Wechselbuden und Kramläden aufzurichten. Ja, wenn du einem solchen Geldhunde eine Million Goldstücke bietest, verkauft er Dir das blutende Herz seiner eigenen Tochter, und du darfst ihm nicht noch einmal so viel bieten, so ist ihm auch der Kopf seines erstgeborenen Sohnes feil. -
   08] Aber ihr werdet sagen, gehet es denn auf allen Schiffen so elendiglich zu? wird nirgends in diesen schwankenden Häusern Gottes gedacht? - Da sage Ich euch: es ist zwar ein jedes Schiff mit einem, oft auch mit mehreren Priestern versehen, welche der Zeremonie wegen, so wie eine Musikbande der Matrosen wegen, einem solchen Schiffe als Ballast beigegeben werden, und letztere Benennung hat auch das meiste Gewicht; denn alles andere ist nichts als leere Form, und die Staatsfahne des Schiffes ist auf diesem Schiffe ein bei weitem größeres Heiligtum, als die gesamte Priesterschaft und ihr schwankender Gottesdienst. Bei einigen Besseren werde Ich nur dann angerufen, wenn donnernde Wasserwogen sie auf kurze Zeit von ihrem Gewinntaumel erwecken.
   09] Übrigens ist auf jedem Schiffe die Tyrannei so gang und gebe, daß sie einem Herrscher Ägyptens an die Seite gestellt, selben keine Schande machen würde; und diese kalte und trockene Gefühllosigkeit der oberen Seeleute wird dann in der moralischen Welt die Schiffszucht genannt. - Ich sage aber zum Schlusse dieser 4ten Stunde: Wohl bekomme es solchen gewaltigen Bemühungen; wahrlich ihr Lohn wird dereinst nicht klein sein!


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