Jakob Lorber: 'Sterbeszenen - Jenseits der Schwelle'
Sechste Szene: Ein Feldherr (Niederschrift vom 10. August 1847)
01]
Seht, wir befinden uns in einem königlichen Prachtgemach.
Hier strotzt alles von Gold und Silber und von den kostbarsten Edelsteinen und - für die Welt - von den wertvollsten
Gemälden. Der Boden des Gemachs ist mit den feinsten
asiatischen Teppichen belegt, und die großen Spiegelglasfenster sind mit Gardinen behangen, von denen eine soviel
kostet, daß davon tausend Arme einen ganzen Monat zu
essen hätten. Kästen, Tische, Sofas, Stühle und noch eine
Menge königlicher Einrichtungsstücke von großem Wert
zieren es und allerlei Wohlgerüche durchduften das Krankengemach, und die berühmtesten Ärzte umgeben das reich
mit Gold verzierte Bett, in welchem der irdisch hohe Kranke vergeblich der Genesung harrt.
02]
Es wird ein Konsilium über das andere gehalten, und die
Medikamente werden alle Stunde gewechselt. Im angrenzenden Gemach beten aus lateinischen, rot und schwarz
gedruckten Büchern abwechselnd in einem fort zwei Mönche und wo nur ein Bethaus oder irgend eine Kapelle steht,
wird für die Wiedergenesung unseres großen Feldherrn eine
feierliche Messe gehalten. Aber das nützt alles nichts.
Denn für diese Feldherrnkrankheit gibt es weder in der
Apotheke noch im Breviarium und ebensowenig im Meßbuche irgendeine Hilfe mehr, sondern da heißt es einmal:
»Komm und laß sehen, wie deine Werke beschaffen sind!«.
03]
Seht nun den Kranken an, wie tapfer er sich hält! Aber
diese Tapferkeit ist nur ein Schein, denn innerlich möchte
unser Held vergehen vor Angst und Verzweiflung und verflucht dabei die stark schmerzende Krankheit wie ein Husar
sein Pferd, das ihm keinen Gehorsam leisten will. - Die
Geschichte geht hübsch zusammen: Dort beten die Mönche - freilich wohl mit einer Andacht, die ihresgleichen
sucht, mit der heimlich auch noch ein ganz entgegengesetzter Wunsch vereinigt ist propter certum quoniam (einer gewissen Sache wegen) -, aber rar ist das immer, so der,
für den wenigstens »aufs Aug« gebetet wird, flucht, daß es
eine barste Schande ist!
04]
Nun aber wird sein Schmerz stets ärger, ja beinahe unerträglich, und unser Patient, darob vor Grimm entbrannt,
fährt nun zum Erstaunen seiner Umgebung ganz wütend
auf und schreit aus vollem Halse: »O du verfluchtes Hurenleben! Kannst du, Schöpfer, so du irgend einer bist, es mir
denn nicht auf eine schmerzlosere Art nehmen?! Auf ein
solches Hurenleben sollen alle Teufel, so sie irgend sind,
scheißen; und ich möchte es selbst, so ich's nur vermöchte!
He, ihr dümmsten Viecher von Ärzten, die ihr alle zusammen keinen Schuß Pulver wert seid, gebt mir eine scharf
geladene Pistole her, auf daß ich selbst für dies Hunde- und Hurenleben mir eine Medizin durchs Hirn verschreibe,
die dasselbe auf einen Knall von jeder fernem Marter sicher
befreien solle!«
05]
Ein Protomedikus naht sich dem Krankenbett und will
den Puls fühlen und bittet den Patienten um Ruhe. Aber
der hohe Patient richtet sich auf und spricht: »Komm nur
her, du Luder, du schlechter Hund von einem Arzte, damit
ich an dir meine gerechte Wut kühlen kann! Fahr zu allen
Teufeln, du dummes Luder! Möchtest mich nicht wieder
mit Opium martern?! Schau, - wie gescheit diese Kanaillen
sind; so sie nichts mehr wissen, da kommen sie sogleich
mit Opium, auf daß der Kranke dann einschlafe und sie
sich dadurch mehrere Stunden des gerechten Vorwurfs, den
sie überaus wohl verdienen, entledigen und sich dabei brav
ins Fäustchen lachen und schon Rechnung machen, wieviel
da nach meinem Tode ein jeder für sich in der dritten Vergleichungsstufe wird verlangen können! Hahaha, gelt, ich
durchschaue eure Pläne! Weg daher mit euch, ihr bösen
Hunde, sonst bringe ich euch noch mit diesen meinen letzten Kräften um euer scheußliches Luderleben! - He, was
sehe ich denn dort im Nebengemache für zwei schwarze
Kanaillen?! Was tun denn diese Luder? - Ich glaube gar,
sie beten für meine Seele? Wer hat sie denn dazu berufen?!
- Hinaus mit ihnen, sonst stehe ich auf und schieße sie
wie Hunde zusammen!« -
06]
Seht, auf diese gewaltige oberfeldherrliche Detonation
machen sich die Mönche recht behende aus dem Staube;
die Ärzte zucken stets greller mit den Achseln, und der
Patient verstummt und fängt unter den horrendesten Verzerrungen des Gesichts zu röcheln an. Wir aber begeben uns
nun, da es hier an dem Patienten nichts mehr zu beobachten
gibt, sogleich in die Geisterwelt und werden ganz kurz unsere Beobachtung machen, wie unser Held in die Geisterwelt eintreten wird. -
07]
Seht, wir sind schon da, und dort auf gleichem Lager
liegt der Patient in einem ganz gleich aussehenden Gemach.
Noch röchelt er, wie ihr es leicht merken könnt, unter ganz
entsetzlich schweren Atemzügen und zerbeißt sich die Zunge vor heimlicher Wut seiner ergrimmten Seele.
08]
Dort aber, seht, ist schon der alleinige Würgengel in der
Bereitschaft, die ergrimmte Seele unseres Helden von ihrem
überstolzen und hochmütigsten Aristokratenfleische loszumachen. Mit einem flammenden Schwert ist der Engel bewaffnet - zum Zeichen seiner großen, ihm von Mir verliehenen Kraft und zum Zeichen seines Mutes und seiner
gänzlichen Furchtlosigkeit vor solchen Großhelden der
Erde wie vor der ganzen Hölle.
09]
Sehet, nun ist in der Zeiturne das letzte Sandkörnchen
für diesen Helden gefallen, und der Engel rührt ihn mit
seinem Flammenschwerte an und spricht: »Erhebe dich, du
matte Seele, und du, stolzer Staub, falle in das Meer deiner
bodenlosen Nichtigkeit zurück!«
10]
Seht, nun verschwindet der Leib, und nicht mehr zu sehen ist das Lager und das Gemach voll irdischer Pracht.
Dafür erhebt sich eine, wie ihr es leicht merken könnt, ganz
dunkelaschgraue, schmählichst verkümmerte Seele, stehend
auf lockerem Sande, der sie zu verschlingen droht. Zornig,
wirr und scheu blickt sie um sich - und erschaut nichts
als sich selbst. Aber sie sieht sich ganz anders, als wir
sie sehen, - sie ersieht sich noch als einen Feldherrn mit
all ihren Orden und mit einem Degen geziert.
11]
»Wo bin ich denn?« spricht nun der Held. »Welcher Teufel
hat mich denn hierher gebracht? Nichts, und abermals
nichts! Wohin ich schaue, ist überall nichts. Da seht, auch
unter mir ist nichts!
12]
Bin ich denn ein Nachtwandler - oder träume ich? -
oder sollte ich denn wirklich gestorben sein? Ah, das ist
ja doch ein verflucht dummer Zustand! Ich bin zwar recht
gesund nun und fühle keinen Schmerz, erinnere mich an
jede Kleinigkeit meines ganzen Lebens, - ich war ja höchst
krank; ich habe die dummen Arzte gemustert, die zwei
Heuchler zum Teufel verscheucht und habe auch, natürlich
ob des zu starken, unerträglichen Schmerzes, dem Schöpfer
einige derbe Grobheiten in meiner Aufwallung ins Gesicht
gesagt, - alles dessen erinnere ich mich sehr wohl! Auch
weiß ich, daß ich sehr zornig war und hätte alles zerreißen
können vor Wut. Aber nun ist mir alles vergangen. Es
wäre alles recht, wenn ich nur wüßte, wo ich so ganz
eigentlich bin und was da mit mir vorgegangen ist?!
Es ist wohl etwas licht um mich; aber je weiter hinaus
ich meine Blicke richte, desto finsterer wird es, und ich sehe nichts, nichts, nichts und abermals nichts! Das ist doch verflucht! Wahrlich, wer da nicht des Teufels wird, der wird es in Ewigkeit nimmer!
14]
Sonderbar, sonderbar, ich werde stets munterer, stets lebendiger, - aber auch stets leerer wird es um mich. Ich muß mich sicher in so einer Art Lethargie befinden? Aber die, so davon befallen, sollen alles hören und sehen, was um sie geschieht, - ich aber höre und sehe nichts außer mich, also kann das keine Lethargie sein.
15]
Es ist hier weder kalt noch warm, noch völlig finster, obschon einen das Licht wahrlich nicht blendet! lch bin, was mir unbegreiflich ist, in diesem Solozustand dazu noch sehr heiter und aufgeräumt, daß ich darob einen Bajazzo abgeben könnte, - und doch, wie Figura zeigt, bin ich sicher im Mutterleibe nicht gesellschaftsloser gewesen als hier! Wahrlich, wenn ich hier ein Dingsda, eh, so ein Dings - nun, so ein Dings - ja, ja, so recht - so ich so ein 'Menschchen' bei mir hätte, wahchaftig, ich könnte mich sogar vergessen, daß ich - doch hol's der Kuckuck, den Feldherrn samt seinen fünf Dutzend Großahnen! Wahrlich, für ein 'Menschchen' gemeinsten Standes wäre mir nun schon alles feil!
16]
Wenn ich aber nur erfahren könnte, wo ich denn so ganz eigentlich bin?! Wenn die Sache noch lange dauern sollte, da dürfte einem dieser Zustand so hübsch verdammt langweilig werden! Hab' ja einmal von einem Gott etwas gehört, - will mich doch einmal ernstlich an ihn wenden. Hab' freilich ehedem mich etwas barsch benommen gegen ihn; aber er wird mir das, so er irgend einer ist, ja nicht so übel anrechnen. - Heda, mein Gott, mein Herr! So du irgend bist, hilf mir aus dieser sonderbar fatalen Lage!"
17]
Nun seht, sogleich kommt ein Engel herbei und spricht:
"Freund, in dieser Lage wirst du so lange verbleiben, bis der letzte Tropfen deines Hochmutes aus dir hinausgeschafft sein wird und dadurch bezahlt der letzte Blutstropfen von dem Blute, das du an vielen Tausenden deiner Brüder vergossen hast! Wirf all deine feldherrlichen Insignien von dir, und du wirst dann Boden und mehr Licht und auch Gesellschaft finden, - aber hüte dich vor deinesgleichen, sonst bist du verloren! Vor allem aber wende dich an den Herrn, so wird dein Weg kurz und leicht sein, amen."
18]
Seht, diesen Rat befolgt aber unser Held jetzt noch nicht. Daher verläßt ihn der Engel, und er wird noch einige hundert Jahre in solcher Schwebe verbleiben.
19]
Daraus könnt ihr schon sein 'Wasser' merken, darum nichts weiter nun von ihm.
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