Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 130

Die Missionen und Leiden der Engel.

01] Hier tritt Raphael hinzu und sagt: »Ich schlafe ja auch nicht, und doch habt ihr gesagt, daß außer euch nun alles schläft!«
02] Sagt Zahr: »Freund, daß du nicht schläfst und auch gar nie und nicht schlafen kannst, das wird etwa wohl einem jeden Menschen klar sein, der dich so gut kennt wie wir! Daher hättest du dir diese Bemerkung ganz füglich ersparen können. Siehe, du lieber Engel, es ist ganz genug, daß wir Menschen hier noch manchmal etwas dumm sind, und wir bedürfen darin von deiner Seite durchaus keiner Unterstützung, um noch dümmer zu werden, als wir von Natur aus sind; wohl aber kannst du uns zufolge deiner immensen (unendlichen) Weisheit und Erfahrung, die älter als das Weltgebäude ist, in so manchen Stücken recht herrlich unterweisen!«
03] Sagt Raphael: »Wer bin ich denn hernach, daß ich darum keinen Schlaf haben sollte?«
04] Sagt Zahr: »Aber ich bitte dich, du mein himmlischer Freund, rede und frage uns doch nicht gar so geschwollen! Du bist ein Engel des Herrn aus den Himmeln, hier nur zur Not vom Herrn aus mit einem leichten Leibe versehen! Diesen Leib kannst du mehr als in Blitzesschnelle von dir werfen, und zunichte machen!
05] Du bist ganz ein anderes Wesen als wir dem Leibe nach noch immer sterblichen Menschen dieser Erde. Du bist nie geboren worden, hast nie außer Gott dem Herrn einen Vater und eine Mutter gehabt, aus deren Leibe du hervorgegangen wärest, gleich uns. Du kennst nur eine nie ermeßbare Seligkeit seit den undenkbarsten Zeiten; Schmerz, Leid und Trauer und die bittere Reue kennst du nur dem Namen, nicht aber auch aus eigener Erfahrung dem Wesen nach und kannst mit Menschen daher der vollsten Wahrheit nach ja gar nicht reden von irdisch menschlichen Dingen; du kannst mit uns nur von rein geistigen Dingen reden, die wir von dir auch sehr dankbar annehmen werden, denn darin mußt du völlig zu Hause sein; aber von leiblichen Dingen kannst du nicht reden, weil du noch nie in einem Leibe gejammert hast!«
06] Sagt Raphael: »Schau, schau, was du doch alles weißt! Wäre ich auch nie in irgendeinem Leibe gesteckt, so weiß ich dennoch besser, was der Leib ist und wozu jede Fiber in ihm, als du solches in tausend Jahren bei allem Fleiß erlernen könntest!
07] Sind nicht wir Engel es, die wir für alles zu sorgen haben, was nur immer das Sein eines Menschen von seinem Entstehen bis zu seinem Scheiden von dieser Erde betrifft?!
08] Sind nicht wir es, die eure Seelen durch die in eurem Fleische bewirkten Leiden und Schmerzen läutern und zur Aufnahme des Geistes aus Gott fähig machen, und wir sollten dann nicht wissen, was eure verschiedenartigen Leiden und Schmerzen sind?! Was denkst du denn in deinem Verstande, wenn du mir so etwas zum Vorwurfe machen kannst!?
09] Glaube es mir, daß auch wir Engel nicht schmerz- und leidunfähig sind! Und ich sage es dir, daß wir oft mehr Schmerzen und Leiden ausstehen denn ihr, so wir nur zu oft erleben müssen, wie die hartnäckigen Menschen alle unsere großen Mühen unter Hohn und Spott mit den schmutzigsten Füßen zertreten und uns stets den Rücken zuwenden.
10] Freund, hättest du wohl soviel Geduld mit einem Menschen, über den dir alle Gewalt eingeräumt wäre, wenn du ihn stets mit den größten Wohltaten überhäuftest, der Mensch dich aber für all das über alle Maßen verachtete und von dir nichts hören und wissen wollte und dabei nur stets darauf all sein Denken und Trachten richtete, von dir als seinem größten Wohltäter und Freunde loszuwerden, dir für alle deine Sorgen und Mühen um sein Heil womöglich noch zu schaden, dich um deinen guten Ruf und Namen zu bringen und an dir einen arglistigen Verräter zu machen!? Sage mir, wenn du nur so ein Cyrenius wärest, was du solch einem Menschen tun würdest! Hättest du wohl die Geduld, so einen Bösewicht bis zu seinem Ende mit aller Geduld und Mäßigung und Zartheit zu behandeln?«
11] Sagt Zahr, über diese Worte des Engels große Augen machend: »Nein, Freund! Diese Geduld hätte ich in meinem Leben nie! Da hätte ich schon ohne Macht keine Geduld, geschweige erst mit Macht!«
12] Sagt Raphael: »Sieh, und ich habe so viel unverantwortliche Macht und Kraft, daß ich ganz allein diese ganze Erde, den Mond, die Sonne und alle deinem Auge sichtbaren Sterne, die lauter ungeheuer große Weltkörper sind, mit allem, was sie tragen, im schnellsten Augenblick zerstören und gänzlich vernichten könnte; und doch habe ich aus freiem Willen stets eine solche Geduld mit den unbändigen Menschen dieser Erde!
13] Aber alles das wäre nichts, und wäre ein leicht zu ertragendes Übel; denke dir aber nun das fortwährend allerwiderspenstigste Betragen Satanas und deren Engel, die, als selbst sehr mächtige Geistwesen, stets mit dem >löblichen< Plan umgehen, nicht nur uns, sondern auch Gott zu verderben und ihm alle Macht zu nehmen!
14] Solches kann freilich ewig nie geschehen! Aber genug, der unvertilgbare böse Plan ist einmal da, und sie lassen nicht ab, ihn in den Vollzug zu bringen, erleiden dafür wohl stets die größten Schmerzen und Peinen, die sie sich durch ihre böseste Disziplin (Wollen) sich selbst bereiten; aber das beirrt sie im ganzen dennoch nie, von ihrer großen Bosheit für bleibend abzustehen.
15] Sieh, wir sehen das alles und haben die Macht, sie nicht nur auf das empfindlichste zu züchtigen, sondern sie auch für ewig gänzlich zu vernichten, und das alles ohne Verantwortung vor Gott dem Herrn!
16] Und dennoch behandeln wir sie als unsere gefallenen Brüder mit aller Geduld und Nachsicht und leiten die Sache so, daß ihr freier Wille von uns aus nie irgendeine Schranke bekommt, sondern allzeit frei ist und bleibt; nur verhindern wir stets mit aller Sorgfalt die Fernwirkung desselben. Freund, was wohl würdest du tun bei solchen Verhältnissen?«
17] Sagt Zahr: »Da schlüge ich wie ein Bär drein und würde sehen, ob mir solche Geisterbestien nicht Obedienz (Gehorsam) leisteten, besonders wenn ich deine Macht und Gewalt unverantwortlich besäße!«
18] Sagt Raphael: »Siehst du aber nun wohl ein, daß ein Engel Gottes sein kein so leichtes Ding ist, wie du dir's vorgestellt hast, und daß ich vom eigentlich Menschlichen doch auch ein wenig etwas einsehe und kenne und darum auch mit euch davon reden kann?!«
19] Sagt Zahr: »O ja, das sehe ich nun nur zu gar ein; aber nur das sage mir nun noch, ob du hier sein mußt, oder ist auch das dein freier Wille?«
20] Sagt Raphael: »O ja, ich könnte euch auch alsogleich verlassen nach meinem eigenen freiesten Willen; aber ich will bei euch bleiben, weil solches dem Herrn wohlgefällt. Des Herrn Wohlgefallen ist aber so ganz eigentlich mein Wille, und wider den kann auch Gott Selbst nicht und niemals handeln; denn darin besteht die Erhaltung aller Schöpfung, von der du mit all den für dich zahllos vielen Sternen nicht einmal den äonsten (Anmerkung von Jakob Lorber: Unter einer Äone verstehe man den Kubus von Dezillion. 1 Dezillion = 1060 = 1 mit 60 Nullen) Teil siehst, geschweige die endlose Ganzheit und das Wesen derselben! - Aber nun naht sich die Sonne schon stark dem Aufgange, und der Herr kommt zurück; darum heißt es nun wieder vollauf aufmerksam sein auf jeden Seiner Winke!«


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