Inhaltszusammenfassung: Erkältung als Todesursache eines gelehrten, an ein Weiterleben nicht glaubenden Astronomen und Philosophen (JL.Jens.002,01-03). Sein testamentarischer Wille, einbalsamiert zu werden, und Auftrag an einen Sohn, sein astron. Werk zu veröffentlichen, als Versuch, der Nachwelt in Erinnerung zu bleiben (JL.Jens.002,04-07). Nihilistische Betrachtungen auf dem Sterbebett (JL.Jens.002,08-10). Angst des Sterbenden vor dem Tod (JL.Jens.002,11-12). Hadern und Rechten mit Gott (JL.Jens.002,13-14). Verfluchung des Lebens und Beschimpfung und Abwertung Gottes, Verlangen nach Gift zur Selbsttötung (JL.Jens.002,15-19). Einstufung Jesu als Mensch, den der schwache Gott vor der Kreuzigung im Stich gelassen habe (JL.Jens.002,20). Hellstes Bewusstsein und Erinnerung bis zum Embryonalzustand, aber Isolationsgefühl kurz vor dem Tod JL.Jens.002,21-25). Drei Engel am Sterbebett (JL.Jens.002,27). Dunkelheit nach seinem Tod. Augenöffnung durch Engel JL.Jens.002,27-29). Erste Eindrücke im Jenseits. Erlebnis von Leichtigkeit und Gesundheit (JL.Jens.002,30). Aufklärung durch Engel über den Übergang, ü ber Gottes Wesen, Angebot zur Führung (JL.Jens.002,31). Kontakt und Gespräch mit Jesus als Gott. (JL.Jens.002,34-36). Statt sich von Jesus helfen und führen zu lassen, will der Astronom in den Gestirnen reifen, um zu Gott zu finden. Dazu erhält er Engelshilfe (JL.Jens.002,37-39). Warnung Jesu vor Gelehrsamkeit, die auch noch im Jenseits ihr Fach statt Gott sucht und in Umwege führt. (JL.Jens.002,40).
01] Gehen wir an das Krankenlager eines Gelehrten, für dessen irdische Lebenserhaltung - wie ihr zu sagen pflegt - kein Kräutlein mehr gewachsen ist, und betrachten diesen zweiten berühmten Mann, wie er sich in den letzten Stunden noch diesseits befindet - und wie er drüben erwacht und welche Richtung ihm seine Liebe gibt.
02]
Der Mann, den wir nun betrachten werden, war auf der Welt ein Philosoph und zugleich ein Astronom "in optima forma" (In vollendeter Ausprägung, d. Hg.), wie ihr zu sagen pflegt.
03]
Dieser Mann hat in seinem großen Eifer, die Sterne zu mustern und zu berechnen, ein Alter von etlich siebzig Jahren erreicht, hat sich aber bei einer anhaltenden Sternguckerei an einem sehr kalten Winterabend dergestalt abgekühlt, daß man ihn bei seinem Tubus (Fernrohr, d. Hg.) beinahe ganz erstarrt angetroffen hatte, von wo er dann von seinem Freunde sogleich in seine erwärmte Wohnung gebracht und augenblicklich mit der bestmöglichen ärztlichen Hilfe versehen ward, der zufolge er auch in der Zeit von ein paar Stunden wieder soweit zurechtgebracht wurde, daß er seinen sogenannten letzten Willen seinen Freunden kundgeben konnte, welcher also lautete:
04] "Im Namen der unerforschlichen Gottheit! Da man nicht wissen kann, wie lange das unerforschliche Geschick einem Menschen noch dies elende Leben belassen wird, und man auch nicht weiß, welch ein Ersatz einem dafür zuteil wird, so ist es mein Wille, daß ihr, meine lieben Freunde, zuerst meinen Leichnam - so ich sterben sollte - durch Einbalsamierung vor der Verwesung bewahret und ihn in einem wohlvermachten Kupfersarge in eine Gruft bringet, darin
schon mehrere meiner wertesten Kollegen ruhen und gewisserart meiner harren. Das Eingeweide aber, das da zuerst
in Fäulnis übergeht, tuet in eine eigene Testinal-Urne unter
Spiritus und setzet es in mein Museum an einen Ort, der
jedermann sogleich in die Augen fällt, auf daß ich
wenigstens in der Erinnerung der Menschen fortlebe, so
schon an kein anderes Fortleben nach dem Tode des Leibes
zu denken ist.
05]
Was mein Vermögen betrifft, so wisset ihr, meine Freunde, es ohnehin, daß ein Gelehrter auf dieser Welt selten mehr besitzt, als er zu seinen täglichen geistigen und physischen Auslagen benötigt, und so ist es denn auch bei mir jetzt, wie es allezeit war. Ich habe kein Geldvermögen je gehabt und kann daher auch keines hinterlassen. Veräußert aber bald nach meinem Hintritt meine hinterlassenen Effekten und besorget damit das, was ich gleich anfangs anbefohlen habe.
06] Meine drei noch lebenden Kinder, die alle gut versorgt
sind, benachrichtiget, wenn ich nicht mehr bin, und der älteste Sohn, mein Liebling, der mein Fach gewählt hat, soll der Erbe meiner sämtlichen Bücher und Schriften sein und soll ehestmöglich meine noch unedierten Schriften zum Drucke befördern.
07]
Damit sei mein Wille beschlossen für diese schöne Sternenwelt, die ich fürderhin nimmer schauen und berechnen werde!
08]
Ach, was ist doch der Mensch für ein elend Wesen! Voll
erhabener Ideen, voll überirdischer Hoffnungen, solange
er noch gesund auf der Erde umherwandelt, - aber am
Rande des Grabes schwinden sie alle dahin wie die Träume
und Luftschlösser eines Kindes und an ihre Stelle tritt die
traurige Wirklichkeit, der Tod als der letzte Moment unseres Daseins und mit ihm die Vernichtung, die keine Schranken hat!
09]
O Freunde! Es ist ein schwerer, schrecklicher Gedanke
vom »Sein« bis zum »Nichtsein« für den, der - wie ich nun - am Rande des Grabes steht! Mein Inneres ruft mir zu: ,Du stirbst, du stirbst jetzt! Nur wenige Minuten noch und über
dein ganzes Wesen hat sich die schwarze Nacht der ewigen,
schrankenlosen Vernichtung gesenkt!' O Freunde, dieser
Zuruf ist erschrecklich für den, der am Grabesrande steht,
mit dem einen Auge noch die lieben schönen Sterne beschaut und mit dem andern die ewige tote Nacht, in der
keine Idee die Moderasche durchweht, kein Bewußtsein,
keine Erinnerung!
10]
Wohin, wohin wird dieser Staub in tausend Jahren
verweht werden? Welcher Orkan wird ihn aus dem Grabe
entwirren, und welche Meereswoge wird ihn dann wieder
verschlingen oder welch anderes neues Grab?
11]
O Freunde! Reicht mir einen Trank, denn ich bin ganz
entsetzlich durstig! Einen Trost gebt mir zur Linderung
meiner großen Angst! Gebt mir den besten Wein - und
viel, damit ich mich noch einmal erquicke und berausche
und leichter den schrecklichen Tod erwarte!
12]
O du furchtbarer Tod, du größte Schande für den erhabenen Menschengeist, der so Herrliches erschaffen hat und
Entdeckungen gemacht, die ihm zur größten Ehre gereichen! Dieser Geist muß nun sterben, die größte Schande
ist sein Lohn: der Tod, die ewige Vernichtung!
13]
O Fatum, o Gottheit, habt ihr ewige Sterne kreieren können, warum nicht auch einen Menschen, der nicht stürbe?!
O du Tollheit, wie groß mußt du sein in der Gottheit, die
ein Vergnügen daran hat, Erhabenstes zu erschaffen, um
es dann wieder zu zerstören auf ewig oder zu bilden aus
Menschen schändlich Gewürm oder Infusorien!
14]
Muß ich denn sterben? Warum muß ich denn sterben?
Was tat ich, was taten Millionen, daß sie sterben müssen?
Wahrlich, in einem Tollhause hätte eine bessere Schöpfungsnorm statuiert werden können, als diese sterbliche da ist, gestellt von einer höchst weise sein sollenden Gottheit!«
15]
Hier ermahnten die umstehenden Freunde und Ärzte unseren Astronomen zur Ruhe, die ihm not tue, so er wieder
genesen wolle. Denn es stünde ja noch nirgends geschrieben, daß er nun wegen dieser freilich wohl sehr starken Verkühlung sterben müsse, wohl aber könnten ihm solche
mächtigen Gemütsaufregungen im Ernste das teure Leben
kosten.
16]
Diese Mahnung aber fruchtete bei unserem Astronomen
sehr wenig, denn er fuhr darauf nur desto ärger auf und
sprach in einem höchst aufgeregten Ton: »Weg, weg mit
eurer Hilfe! Weg mit diesem elenden verfluchten Leben!
Wenn der Mensch nicht ewig leben kann, dann ist das
Leben die größte und schändlichste Prellerei und der Tod
und das Nichtsein nur die Wahrheit! Schämen muß sich
der Weise eines solchen Scheußlebens, das nur von heute
bis morgen dauert! Ich will daher auch nicht mehr leben!
Mich ekelt nun dieses miserabelste Leben tausendmal mehr
an als der elendeste Tod; daher gebt mir Gift, stärkstes
Gift gebt mir, auf daß ich ehestens dieses Scheußlebens
loswerde! Verflucht sei solch ein Leben, solch ein Mückenleben, und ewige Schande der Urkraft oder Gottheit oder
welch ein Kloakengeist sie sonst ist, die es nicht konnte
oder nicht wollte, dem erhabenen Menschen ein Leben zu
geben, das sich mit den Sternen auch der Dauer nach messen könnte! Daher weg mit diesem Leben, weg mit dieser Gottheitsprellerei! Kann sie dem Menschen kein besseres
Leben geben, so soll ihr auch für das gepfiffen sein, das
mag sie für sich behalten! Lebt wohl, ihr meine lieben
Freunde, ich sterbe, ich will sterben, ja ich muß sterben;
denn nun könnte ich als ein erhabenster Menschengeist nimmer die Schande dieses Fopplebens ertragen!«
17]
Hier ermahnen die Arzte unseren Astronomen wieder zur
Ruhe. Aber er verstummt und gibt keinen Bescheid mehr.
Die Ärzte reichen ihm Moschus, aber er schleudert ihn von
sich. Die Ärzte bitten ihn, daß er Medizin nehmen solle,
aber er wird stets stummer und fängt an zu röcheln. Man
reibt ihn und sucht ihn wieder aus dieser Lethargie zu retten, allein es ist vergeblich. Nach einer Zeit von ein paar
Stunden legt sich zwar das Röcheln, aber an seine Stelle
tritt ein grelles Delirium - in der Welt also erscheinlich
-, in welchem der Astronom folgendes mit einer hohlen
Kreischstimme aussagt:
18]
»Wo seid ihr denn, die ich so sehr liebte, ihr schönen Sterne? Schämt ihr euch meiner denn, weil ihr euer holdes Antlitz vor mir verberget? O schämt euch meiner nicht! Denn
euer harret ja ein gleiches Los, das mich nun getroffen.
Ihr werdet auch sterben, wie ich nun gestorben bin! Aber
grollet darum dem schwachen Schöpfer nicht, wie ich ihm
gegrollt habe. Denn seht, er hatte sicher wohl den besten
Willen, aber zu wenig Weisheit und Kraft, darum alle seine
Werke so hinfällig und vergänglich sind. Er hätte freilich
wohl besser getan, wenn er nie etwas erschaffen hätte,
wodurch er sich bei uns, seinen weisen Geschöpfen, nur
blamiert hat; denn ein unvollkommenes Werk läßt auf keinen vollkommenen Meister schließen! Daher nicht mehr
gegrollt dem armen Hascher von einem Schöpfer, der am
Ende zu tun haben wird, sich selbst über die schrankenlose
Vergänglichkeit all seiner Werke hinaus zu erhalten.
O du armer Schöpfer du! Jetzt sehe ich es erst ein, daß
du wohl ein recht gutes Wesen bist und selbst die größte
Freude hättest, so dir deine Schöpfung besser gelungen
wäre, aber: 'Ultra posse nemo tenetur' (Niemand vermag etwas über sein Können, d. Hg.). Ein Schelm, der's
besser machen will, als er's kann. Du aber hast es nicht
über dein Vermögen besser gemacht, daher bist du auch
kein Schelm!
20]
O du armer guter Mensch Jesus, der du der Welt wohl
die weiseste Moral gegeben hast unter mehrfachen Scheinwundern! Du hast dich auch zu viel auf deinen vermeintlichen Gott-Vater verlassen, der dich gerade dann ob seiner
evidenten Schwäche im Stiche ließ, als es gerade am meisten an der Zeit gewesen wäre, dich am mächtigsten mit
einer Allkraft zu unterstützen, mit der du deine Feinde hättest wie Spreu verwehen können! Als du am Schandpfahle
hingst, war es freilich wohl zu spät auszurufen: 'Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen!?' Denn sieh,
dein Gott hat dich schon lange verlassen müssen, weil ihm
für deine wie nun für meine Erhaltung die Kraft ausgegangen ist! Er tat zwar, was er konnte, und hätte auch gern
mehr getan, aber siehe, da gilt immer das 'ultra posse nemo
tenetur'!
21] Ah, das ist aber doch lächerlich! Jetzt bin ich gestorben und lebe aber dennoch - wie ein gefoppter Esel! Das Rarste
bei der Sache ist, daß es mir nun geradeso vorkommt, als
wäre es die reinste Unmöglichkeit, je sterben zu können!
- Wo aber nur die Erde hingerutscht ist, und meine guten
Freunde? Ich sehe zwar nichts und höre auch nichts, außer
mich allein nur, aber ich bin dabei bei hellstem Bewußtsein,
und meine Erinnerung erstreckt sich nun ganz klar bis tief
und weit über den Mutterleibesstand zurück. Es ist wahrlich sonderbar! Sollte die Gottheit mir etwa zeigen wollen,
daß sie mehr vermag, als ich in dieser meiner letzten Zeit
von ihr erwartet habe? Oder lebt noch mein Leib im allerletzten Vernichtungsmoment und mein nunmehriges Leben
gleicht dem Nachglanz jener Sonnen, die vor Trillionen
Jahren erloschen sind und nur in der Emanation ihres Lichtes durch den unendlichen Raum fortleben?
22] Aber für solch ein Scheinleben, das - mathematisch richtig - wohl auch ewig dauern muß, weil der ausgehende
Strahl nie an eine endliche Grenze stoßen und somit nie
völlig aufhören kann, bin ich mir meiner selbst nun zu klar
bewußt, ja tausendmal klarer als je irgendwann in meinem
ganzen irdischen Leben. Nur, wie gesagt, daß ich nichts
höre und sehe außer mich allein. - Aha, aha, still nun!
Mir kommt es vor, als vernähme ich ein leises Gemurmel,
ein Geflüster! Auch will sich meiner wie ein leiser, sehr
süßer Schlaf bemächtigen. Und doch ist es kein Schlaf, nein, nein, es ist nur, als ob ich von einem Schlafe erwachen sollte!? - Doch nun stille, stille; ich höre Stimmen
aus der Ferne, bekannte Stimmen, sehr bekannte Stimmen!
Stille, sie kommen, sie kommen näher!«
23] Hier verstummte unser Astronom völlig und bewegte
auch die Lippen nicht mehr, woraus die ihn umstehenden
Freunde und Ärzte schlossen, daß es nun mit ihm völlig
aus sein werde, da ohnehin die halbe Rede, die hier angeführt ist, von den Umstehenden mehr als ein röchelndes
Gekreische denn als ein artikulierter Ausdruck vermeintlicher innerer Phantasie des starr werdenden Organismus
vernommen ward.
24] Die Ärzte schritten zwar wohl noch zu den extremsten
Wiederbelebungsmitteln - aber sie waren nun fruchtlos - und ließen dann den nach ihrer Meinung in die tiefste
Lethargie versunkenen Astronomen ruhen und warteten ab,
was die Natur von selbst zum Vorschein bringen werde. Aber sie warteten vergeblich, denn die Natur brachte da
weiter nichts zum Vorschein als den bald wirklich erfolgten Leibestod.
25]
Wo aber für der ärzte Natur die »ultima linea rerum« (die letzte Grenze aller Dinge, d. Hg.) erfolgt ist, da empfehlen sie sich. Und wir empfehlen uns auch, aber nicht wie die ärzte, sondern wie Geister, die
dem für diese Erde gestorbenen Manne auch ins Jenseits
folgen können und beobachten, was er da beginnen wird
und wohin sich wenden.
26]
Sehet, da ist er noch ganz wie auf der Welt auf seinem
Lager - und daneben niemand außer die drei euch schon bekannten Engel. Und dort hinter den drei Boten noch Jemand!
27]
Hört, noch redet er und spricht: »Siehe, nun höre Ich wieder nichts. Was waren denn das früher für akustische Täuschungen? Hm, hm, nun alles mäuschenstill. Bin ich denn
noch, oder ist es aus mit mir? Oh, aus ist es auf keinen
Fall, denn ich fühle mich ja, ich bin mir klarst bewußt,
ich denke, ich erinnere mich an alles haarklein, was ich
je verrichtet habe, - nur die Nacht, Nacht, die verruchte
Nacht, die will nicht weichen! Ich will einmal aus Spaß
doch zu rufen anfangen, und das so laut als möglich. Vielleicht wird mich per Spaß doch jemand vernehmen?! Heda! - Niemand in meiner Nähe, der mir aus dieser Nacht
hülfe?! Zu Hilfe, so da jemand sich zufällig irgend in
meiner Nähe befindet!«
28]
Nun meldet sich der Bote A und spricht zu B: »Bruder,
hebe ihn aus seinem Grabe!« Und der Bote B beugt sich
über den Astronomen und spricht: »Es geschehe dir, wie
es der Herr allen Lebens und Seins ewig gleich will, erhebe dich aus deinem irdischen Grabe, du irdischer
Bruder!«
29]
Seht, nun erhebt sich im Augenblick der Astronom und
sein Leib fällt wie ein aufgelöster Dunst zurück! Aber der
Astronom ruft: »Bruder, hast du mich aus dem Grabe gezogen, so ziehe mich auch aus meiner Nacht!« Und der Bote
C spricht: »Also ist es von Ewigkeit des Herrn Wille, daß
alle Seine Geschöpfe, und ganz besonders Seine Kinder,
Licht haben und im Lichte wohlsehend wandeln sollen.
Sonach öffne deine unsterblichen Augen und sehe und
schaue, was dir wohlgefällt. Es sei!«
30]
Nun öffnet der Astronom in der geistigen Welt zum ersten Mal seine Augen und sieht klar seine Umgebung und
hat eine rechte Freude, daß er - nach seiner Idee - nun
wieder Menschen sieht und einen Boden, auf dem er fußt.
Nun fragt er aber: »Liebe Freunde, wer seid ihr denn? Und
wo bin ich? Denn mir kommt es hier zum Teil sehr heimelig und zum Teil doch wieder sehr fremd vor. Auch bin
ich so leicht und ungewöhnlich gesund und begreife nicht
so recht, wie ich hierher gekommen bin und wie eurer Worte Kraft mich sehend gemacht hat. Denn ich war im Ernste stockblind!«
31]
Der Engel A spricht: »Du bist für die Welt dem Leibe
nach gestorben und bist nun - für ewig lebend deiner Seele
und deinem Geiste nach - hier in der eigentlichen wahren
Welt des Lebens der Geister. Wir drei aber sind Engel
des Herrn, zu dir gesandt, dich zu erwecken und zu führen
den rechten Weg zum Herrn, deinem Gott und unserem
Gott, zu deinem Vater voll Liebe, Geduld und Erbarmung,
Der auch unser Vater ist, heilig, überheilig, Den du in deiner letzten Erdenstunde 'eine schwache Gottheit' nanntest,
da du blind warst, Der dir aber auch alles verzieh, darum,
weil du blind und schwach warst! Nun weißt du alles, tue
nun danach und du wirst überselig sein gleich uns ewig!«
32]
Der Astronom spricht: »Brüder, Freunde Gottes, führt mich, wohin ihr wollt, ich folge euch! Aber wenn ich je der endlosen Gnade sollte teilhaftig werden, zur Anschauung Gottes zu gelangen, da stärket mich gewaltigst! Denn
zu elend, schmachvoll und unwert fühle ich mich für ewig,
diesen heiligsten Anblick zu ertragen! - Aber dort sehe
ich ja noch jemanden, der uns gar so freundlichst anblickt!
Wer ist denn dieser Herrliche? Sicher auch ein Bote der
Himmel?«
33]
Der Engel A spricht: »Ja, wohl ein Bote aller Himmel!
Gehe hin zu Ihm, der Weg ist kurz. Er Selbst wird es dir
offenbaren.«
34]
Der Astronom geht hin, und der gewisse Jemand geht
ihm entgegen und spricht: »Bruder, kennst du Mich denn
nicht?« Und der Astronom antwortet: »Wie sollte ich dich
kennen, sehe ich dich doch zum ersten Male?! Wer bist
du aber, du lieber, herrlicher Bruder?«
35]
Der Freundlichste spricht: »Siehe an Meine Wundmale!
Siehe, Ich bin dein schwacher Jesus und komme dir entgegen, um mit Meiner Schwähe zu helfen deiner Schwäche;
denn käme Ich mit Meiner Kraft dir entgegen, so hättest
du kein Leben! Denn siehe, jedes beginnende Leben ist eine
zarte Pflanze, die ohne Luft nicht fortkommt, aber der
Orkan tötet das Leben der Pflanze! Also bin Ich nun auch
nur ein zartes Lüftchen, dir entgegenkommend, um dich
voll zu beleben, und kein Orkan, dich zu zerstören. Liebe
Mich, wie Ich dich liebe von Ewigkeit, so wirst du das
wahre ewige Leben haben!«
36]
Spricht der Astronom: »O du mein allergeliebtester Jesus!
Du also bist es, - der die herrlichste Lehre den Bewohnern
der Erde gegeben und sie dich dafür gekreuzigt haben!?
O lehre auch mich den rechten Weg, der zu Gott führt,
den du gelehrt hast; von mir sollst du dafür nie gekreuzigt
werden! Aber, so es dir möglich, lasse mich dabei auch
die große Schöpfung in ihrer Klarheit beschauen, die mich
durch mein ganzes Leben so sehr beschäftigt hat!«
37]
Spricht Jesus: »Dein Weg zu Gott wird nicht weit sein,
so du ihn sogleich betreten willst; willst du aber zuvor deine
Sterne durchmustern, dann wirst du einen langen Weg
haben. Wähle nun, was du lieber willst!«
38]
Spricht der Astronom: »Mein geliebtester Jesus, siehe, für
Gott bin ich noch lange nicht reif. Daher sei mir, so es
dir möglich ist, behilflich, daß ich in den Gestirnen reif
werde.«
39]
Spricht der Herr: »Es geschehe dir nach deiner Liebe! Aus
diesen drei Engeln wähle dir einen, der dich führen wird
und dir am Ende deiner Reise zeigen, Wer dein vermeintlicher Jesus ist, Den du als einen Menschen kennst, der
gekreuzigt ward!«
40]
Sehet nun wieder, wie dieser Astronom sein »Wasser« sucht
und nur im selben Mir zuschwimmen will, nicht beachtend,
daß Ich schon bei ihm und er bei Mir war! Daher hütet
euch vor dem zu gelehrten Wasser der Sternkundigen und
Geologen, denn es hat seinen Zug nicht nach Mir, sondern
nach der Liebe des Gelehrtenfaches! - Zu diesem Zweck
dies längere Exempel. - Amen.