Jakob Lorber: "Bischof Martin - Die Entwicklung einer Seele im Jenseits"

80. Kapitel: Gleichnis von den Weizen- und Distelsorten. Erwachen der Liebe Martins zu Jesus. Fortsetzung der Szene mit den Herz-Jesu-Nonnen.

   01] Spricht Borem: »So ist es recht: allein des Herrn allerbester und allerweisester Wille geschehe! Die Disteln sind offenbar schlechter als der Weizen, der schon so gut ist, wie er sein muß. Aber gehe du alle Weizensorten der Erde durch, und du wirst in ihnen wenig Unterschied finden. Gehe aber auch alle Distelsorten durch, und du wirst obenan die herrliche Ananas finden und neben ihr die heilkräftige Aloe und neben der die zuckerstoffreiche Feigendistel Afrikas!
   02] Wie töricht wäre es darum, das Geschlecht der Disteln zu verdammen, da doch die Natur zeigt, welcher Veredlung sie fähig sind! Der Weizen bleibt Weizen, aber die Distel kann zur Ananas erhöht werden!
   03] Ebenso blieb ein Petrus, ein Jakobus, ein Andreas usw. das, was sie seit ihrer Entstehung waren, nämlich ein reiner Weizen in der Scheune des Herrn. Unter diesem Weizen aber stand auch eine sehr stachlige, wilde Distel: sie hieß Saulus! Und siehe, der Herr veredelte sie zur herrlichen Ananas, zur köstlichen Frucht der Erde!
   04] Siehe, was aber der Herr einmal tat, das tut Er noch! Daher sagen wir allzeit aus vollstem Grunde unseres Lebens: O Vater, Dein heiligster Wille geschehe!«
   05] Bischof Martin ist zu Tränen gerührt und spricht: »Ja, ja, du mein lieber Bruder, ewig nur Sein heiligster Wille! Oh, wenn ich Ihn jetzt da hätte, da möchte ich Ihn so an mein Herz drücken, daß ich darob völlig mich auflösen könnte! O Du, mein guter Herr Jesus Du, komme, komme zu uns beiden!«
   06] Spricht Borem: »Bruder, nun erst bist du auf den rechten Weg gekommen. Jetzt erst hast du angefangen, Christus anzuziehen! Ich sage dir, du gehst nun einer herrlichen Löse entgegen! Bald wirst du erfahren, was das heißt: a 'Kein Auge hat je gesehen und keines Menschen Sinn empfunden, was der Herr denen bereitet hat, die Ihn lieben!' Du aber hast nun Liebe zum Herrn in deinem Herzen erweckt, die allein bei Ihm etwas gilt. Gib nun acht, was mit dir bald vor sich gehen wird, so du in dieser Liebe verharren und wachsen wirst! Siehe aber nun ein wenig nach der Tafel hin und sage mir, was du nun dort ersiehst!« ( a jes.64,03; 1 kor.02,09)
   07] Bischof Martin sieht sich nun eilends nach der Tafel um und erschrickt. Er sieht diese heller denn eine Sonne erglänzen und liest inmitten des großen Glanzes die Worte: 'Bruder, verharre nur noch eine kurze Weile, und Ich werde bei dir sein!' Als er solches mit großer staunender Freude erschaut, spricht er:
   08] »O Bruder, ich empfinde nun eine Wonne, von der ich noch nie eine allerleiseste Ahnung gehabt habe! Was wird daraus erst in der Folge werden, wenn die Sache so vorwärtsgehen wird, wie ich's nun in meinem Herzen empfinde, da es stets mehr in der Liebe zum Herrn Jesus sich entzündet?
   09] Ja, ich sage dir, nun bin ich in den Herrn Jesus aber schon so verliebt, daß ich mir vor lauter Liebe gar nicht zu helfen weiß! Ja, ich könnte Ihn ich möchte Ihn - ja ich könnte mich vor lauter Liebe ganz in Ihn hineinverbeißen!
   10] O du liebster, liebster, liebster Jesus Du, jetzt sehe ich erst so recht ein, wie unendlich weise und gut Du bist. Und diese Einsicht wird bei mir nun eine Klarheit, während sie früher nur war wie ein etwas hellerer Traum!
   11] Bruder, wie freue ich mich nun darauf, wenn der Herr zu uns kommen wird und wird uns sichtlich helfen, unsere nun noch sehr starren oder wenigstens starr aussehenden Gäste in die rechte Ordnung zu führen!«
   12] Spricht Borem: »Ja, Bruder, das wird auch geschehen, sobald diese Damen das Allergröbstmaterielle werden abgelegt haben. Daher fasse dich nun wieder, betrachte die Szene weiter und sage mir treu, was da alles vor sich geht. Denn war diese bisher belehrend, so wird sie im weiteren Verlaufe noch ums Hundertfache belehrender und interessanter sein!«
   13] Bischof Martin richtet seine Sehe nun wieder in das Hinterhaupt der Herz-Jesu-Dame. Er ersieht, daß sich alles noch so befindet wie früher, bevor er seine Sehe davon abgewendet hatte, zu besehen die strahlende Tafel und zu reden darüber mit Borem.
   14] Nun aber wendet sich der Alte wieder an den einen der zwei weißen Männer. Bischof Martin horcht mit großer Aufmerksamkeit, was da weiter verhandelt wird, und spricht nach einer Weile:
   15] »Schau, schau, der Alte ist gar nicht dumm! Er bittet die beiden Boten, sie möchten wenigstens seine Tochter durch ihre Macht aus dieser Scheußlichkeit erlösen, auf daß er dann an ihrer Seite sogleich in den Himmel kommen könnte; denn hier wäre ihm nun schon entsetzlich langweilig. Er sehe wohl ein, daß die beiden gerecht nach dem Willen des Herrn handelten. Aber es befalle ihn dessenungeachtet ein äußerst fades Gefühl und eine verzweifelte Langweile, der er in aller Kürze den Rücken zuwenden möchte.
   16] Der Alte ist wirklich gar nicht dumm für seinen Sack, wie man zu sagen pflegt! Aber die beiden weißen und weisen Männer scheinen nicht seiner Meinung zu sein. Sie geben darauf mit dem Haupte ein sehr verneinendes Zeichen und der eine sagt:
   17] Freund, Geduld ist des Lebens erste Regel, und das hier im Geisterreiche so gut wie auf der Welt! Alles hat seine Zeit und Weile! Fahrt ihr alle aber fort, in euren Herzen die Liebe und ein lebendiges Vertrauen auf den Herrn stets mehr und mehr zu beleben, so werdet ihr so schnell als möglich zur wahren Erlösung aus diesem Jammerzustande gelangen.
   18] Aber unsere Macht kann euch in dieser Hinsicht weder um ein Haar vor- noch um ein Haar rückwärts helfen. Denn solches müsst ihr wissen: Hier gelangt nie jemand weder durch vermeintliche gottwohlgefällige Verdienste noch durch ein vermitteltes oder unvermitteltes Erbarmen des Herrn in den Himmel, sondern allein durch die eigene Liebe zum Herrn und durch die daraus hervorgehende Gnade des Herrn Jesu Christi, der da ist der alleinige Herr und Gott Himmels und aller Welt! Das alles da ist Sein Werk!
   19] Merket aber das: Es gibt nirgends einen Himmel außer in euch; diesen müsst ihr selbst öffnen, wollt ihr in ihn eingehen! Denn das Leben muß ein freies sein, so es ein Leben sein soll. Ein gerichtetes Leben aber ist kein Leben, sondern nur ein Tod!
   20] So wir euch aber nun frei machten durch unsere Macht, würdet ihr nicht frei, sondern gerichtet sein und somit nicht lebendig, sondern durch und durch tot! Sagt, wäre euch mit solch einer traurigen Hilfe wohl gedient?"
   21] Die Alten kratzen sich nun sehr stark hinter den Ohren und scheinen die Belehrung nicht so ganz aus der Wurzel zu fassen.«


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