Jakob Lorber: 'Die drei Tage des 12-jährigen Jesus im Tempel'
16. Kapitel: Die Frage des spottenden Barnabe. Des Herrn rügende Antwort und Gegenfrage. Barnabes Verlegenheit und Abbitte. Das Wunder mit den Eselsohren und dem lebendigen Esel.
01] Barnabe fragte die hohen Pharisäer um die Erlaubnis, mit Mir zu reden, da er auf einen guten Einfall gekommen sei. Man gestattete ihm das, und er begann also wie folgt zu reden:
02] »Höre, du mein lieber, kleiner herrgottlicher Messias aus Nazareth in Galiläa, was freilich nicht viel sagen will! Du hast uns nun so einige Beweislein geliefert, aus denen wir sogar mit unsern verstopften Ohren zu hören und mit verbundenen Augen zu sehen anfangen, daß du am Ende dennoch der verheißene Messias bist, aber eben mit dieser Einsicht stehen wir nun ganz als eingespannte Ochsen am Berge! Was werden wir nun tun? Oder was sollen wir nun tun?
03] Dieser Tag geht schon seinem Ende entgegen, und du hast nur noch morgen das erkaufte Recht, zu reden, obgleich du der Messias bist! Daher meine ich, daß es für dich nun an der Zeit wäre, deine Anordnungen zu machen, was von nun an, da wir dich erkannt haben, mit uns und mit dem Tempel zu geschehen hat! Bleibt alles, wie es ist, oder wird alles neugestaltet? Du bist nun einmal der verheißene und zu uns hereingesäuselte Messias, was wir dir nicht mehr abstreiten können: aber was nun? - Rede, und handle nun, du junger gottmenschlicher Messias - natürlich von oben her!«
04] Sagte Ich: »Wegen dieses deines gar schlechten Witzes hättest du wahrlich nicht nötig gehabt, dein Maul gar so weit aufzureißen und zu zeigen, daß du wohl sehr gerne etwas möchtest, aber es fehlen dir die materiellen und geistigen Mittel dazu! Verstanden, du Träger Bileams?! - Aber da du an Mich nun einmal die Frage gestellt hast, was von nun an mit euch und mit dem Tempel zu geschehen hat, so muß Ich dir schon auch eine rechte Antwort darauf geben!
05] Siehe, also steht es geschrieben: »So aber der Messias kommen wird, da wird Er das Gesetz nicht aufheben - auch nicht ein Häkchen desselben -, sondern es selbst auf das genaueste erfüllen!« Er wird nicht aufheben den Tempel und dessen Diener, wohl aber züchtigen dessen gesetzwidrige Verkehrtheit, und weise sich dünkende Protzer von Leviten wird Er kennzeichnen zur dankbaren Anerkennung ihrer schlecht angebrachten Witzereißerei!
06] Ist denn für dich Meine auf Mich bezug habende Besprechung der eben auch unwiderlegbar auf Mich bezug habenden Schrifttexte eine Narrheit?! Oder beweise du es Mir, daß Ich nicht gerade auf ein Haar derselbe bin, von dem alle Propheten geweissagt haben! So du aber dessen ernstlich nicht imstande bist, wozu unterfängst du dich dann, Mich zu verspotten?! - Na warte - Ich werde dir nun auch eine Frage geben, die du Mir beantworten wirst! Beantwortest du Mir die Frage nicht zu Meiner Zufriedenheit, so sollst du Mir zu einem wahren Midas (Midas war ein phrygischer König. Er verwandelte, was er berührte, in Gold und bekam dann, weil er den Marsyas dem Apollon vorzog, Eselsohren.) der Heiden werden!
07] Sage Mir, du seichtester Witzbold, was der Name ,Jerusalem' besagt?! Was steckt darinnen? Als Levite und angehender Varisar (Pharisäer) mußt du das aus den Büchern Mosis und auch aus dem Buche Henoch, das Noah über die Sündflut herübergebracht hat unter dem Titel ,Kriege Jehovas' (siehe ,Haushaltung Gottes'!) wissen, und Ich habe nun das volle Recht, von dir die Erklärung zu verlangen, denn es liegt gar viel an dem richtigen Verständnisse dieses Namens! Rede nun!«
08] Der junge Levite hatte von der urhebräischen Zunge keinen Dunst. Er bat Mich deshalb um etwas Zeit und Geduld, und Ich gewährte ihm das. Nun schlich er sich zu einem alten Schriftgelehrten, ob dieser ihm das nicht zu sagen wüßte. Allein der wußte es auch nicht und beschied ihn zum Kabbalisten Joram. Dieser zuckte auch bedenklich mit den Achseln und sagte nach einer Weile leise zu ihm:
09] (Joram:) »Ja, es gibt in den gar alten Büchern wohl eine Art etymologischer Erklärung hierüber, und in der Kabbala geschieht auch eine Art erläuternde Erwähnung, aber in so mystischen Thesen, daß dagegen das Hohe Lied Salomons ein wahres Kinderspiel ist! Ich selbst habe weder das eine noch das andere verstanden und kann dir daher nun unmöglich aus deiner Verlegenheit helfen!
10] Übrigens muß ich dir die Bemerkung machen, daß du mit dem Knaben einmal wegen seiner eminenten Geistesschärfe und dann wegen des Ansehens seines hohen römischen Protektors viel glimpflicher hättest reden sollen, zumal du eben derjenige bist, der uns eine mehr haltbare Auskunft über sein wundersames Wesen gegeben hat!
11] Merktest du denn zuvor nicht, wie er von Wort zu Wort um alles wußte, was wir in der Nacht in aller Geheimheit über ihn beraten und gesprochen haben?! Ich sagte dazu nichts, habe aber für mich darin ein gewaltiges Zeichen gefunden von der Anwesenheit eines Geistes in diesem Knaben, dem es eben kein Schweres zu sein scheint, Herzen und Nieren der Menschen zu prüfen.
12] Ich gebe dir darum den Rat, den außerordentlichen Knaben wegen der angetanen offenbaren Beleidigung um Vergebung zu bitten, sonst stehe ich wahrlich nicht gut, ob er dir nicht einen lästigen Schabernack spielt! Gehe hin, und folge meinem Rate!«
13] Sagte Barnabe: »Na, das Recht zu reden hat er allerdings, und Scherz versteht er auch keinen - so muß man ihn denn doch um Vergebung bitten! Daß aber niemand den Namen der Stadt zergliedern kann, das ist wahrlich bei uns Templern doch auch etwas Sonderbares!«
14] Hierauf begab sich Barnabe wieder zu Mir und sagte freundlichen Angesichtes : »Lieber, holdester Junge! Ich habe meinen groben Fehler, den ich an dir durch meinen wahrlich schlechten und sehr unzeitigen Witz begangen habe, eingesehen und bitte dich wahrhaft von ganzem Herzen um Vergebung und füge sogleich inständigst die Bitte hinzu, daß du uns gefälligst den Namen ,Jerusalem' erläutern möchtest, denn wir alle wissen nichts aus ihm zu machen! Man übersetzt ihn wohl mit dem Ausdrucke ,Heilige Stadt' oder ,Stadt Gottes' - allein, wie das im Worte ,Jerusalem' vorhanden sei, das weiß wohl kaum jemand von uns!
15] Man erzählt sich wohl, daß ein Ort hier unter dem Namen ,Salem' bestanden hatte, wo der große und mächtige König wohnte, dem alle damaligen Fürsten der Erde den Zehent geben mußten - denn der König Melchisedek war für alle Menschen auf der Erde zugleich der einzige und wahrhaftigste Hohepriester Jehovas -, aber man weiß sonst von diesem Hohenpriester, von seinen Lehren und Taten, wie auch von seiner Persönlichkeit wenig oder auch nichts! Wenn du ohne Zweifel davon mehr weißt denn wir alle, so setze uns gefälligst davon in Kenntnis!«
16] Sagte Ich: »Dein Glück, daß du Mir so gekommen bist - sonst wärest du auf eine Art gezeichnet worden, die dir wahrlich nicht angenehm gewesen wäre! Die Zeichen aber, mit denen dein Haupt geziert worden wäre, liegen nun zu deinen Füßen. Hebe sie auf und lerne daraus, daß Ich die mutwillige Spottsucht bei jedem Menschen züchtige, und daß man an der Stätte, wo es sich um den größten Lebensernst aller Menschen der Erde für ewig handelt, sich nicht eines elenden und nichtigsten Scherzes bedienen soll! - Besieh nun zuvor den Scherz, den Ich für deinen schlechten Witz mit dir gemacht hätte, dann erst werde Ich dir auch die zweite Bitte gewähren!«
17] Hier bog sich Barnabe zu Boden und hob zwei zu seinen Füßen liegende, vollkommen ausgebildete, ganz natürliche Eselsohren auf und entsetzte sich darum um so mehr, weil ihnen jede Spur mangelte, als wären sie zu dem Behufe einem wirklichen Esel abgeschnitten worden.
18] Einige der Anwesenden - besonders unser Simon und der römische Richter - gerieten dadurch in ein helles Lachen, aber allen Templern wurde es ganz sonderbar zumute, und sie fingen an, sich untereinander zu fragen, wie solches auf eine natürliche Weise möglich wäre. Und sie rieten hin und her, konnten aber zu keinen nur von fernhin haltbaren Resultate gelangen.
19] Da sagte Barnabe: »Was nützt all unser Hin- und Herraten, die Sache ist ein reines Wunder und weiter nichts! Denn hätte sich der Knabe damit zuvor schon vorgesehen, so müßte er auch schon zuvor gewußt haben, daß ich gegen ihn einen schlechten Witz machen werde! Und das wäre doch etwa ein noch größeres Wunder!
20] Der Knabe aber hat uns von solcher seiner Eigenschaft schon dadurch eine sehr denkwürdige Probe abgelegt, als er unsere geheimen nächtlichen Besprechungen mir von Wort zu Wort vortrug und dem Hohenpriester seine geheimsten Gedanken offen und laut aussprechen wollte! Wer das eine kann, dem dürfte etwas anderes auch auf eine gleiche, uns freilich unbegreifliche Weise möglich sein!
21] Hinter diesem Knaben steckt unfehlbar etwas Außerordentliches! Ich wäre für mich schon der Meinung, daß sich mit der Zeit aus ihm ein ganz vollkommener Messias herausbilden dürfte!«
22] Sagte der Oberpriester: »Du redest geradeso wie ein Blinder von der Pracht der Farben! Wie oft haben persische Zauberer uns mit Zauberstücken überrascht, und Gedanken erraten, ist bei uns auch nichts Neues mehr! Wer kennt die griechischen Orakel nicht?! Diese haben das Gedankenerraten so geläufig gehabt, daß sich am Ende nahezu niemand mehr in ihre Nähe zu kommen getraute!
23] Ja, mein Lieber, bei einer so hochwichtigen Sache muß man mit ganz anderen Augen schauen und die Erscheinungen einer viel tieferen Beurteilung unterziehen! Erst wenn man alles genauest durchgeprüft hat, kann man - aber immer nur sehr behutsam - dabei eine etwas bessere Meinung anzunehmen anfangen! Von einen Vollglauben aber darf so lange keine Rede sein, als bis alle Umstände und Zeichen derart konstatiert sind, daß sie nichts mehr zu wünschen übriglassen.
24] Das, mein lieber Barnabe, zu deiner Belehrung, denn es ist das noch immer ein alter Fehler von dir, daß du bei deinen sonst sehr schätzbaren Kenntnissen sehr leichtgläubig bist!«
25] Sagte Barnabe: »Nein, das war ich nie! Denn wäre ich ein Leichtgläubiger, so wäre ich niemals zu den mannigfachen gründlichen Kenntnissen gekommen, die man sich durch Leichtgläubigkeit niemals erwerben kann. Ich verstehe eine Sache und eine Erscheinung zu prüfen und unterscheide ganz sicher das Alpha vom Omega, aber hier ist mein ganzer Verstand mir zu kurz geworden, und alle meine vielen und mannigfachen Erfahrungen sind in den Jordan gefallen!
26] Die Zauberkünste der Perser kenne ich und noch eine Menge anderer, aber da gibt es keine darunter, durch die man imstande wäre, ein Paar ganz unversehrter Eselsohren aus der puren Luft ins Dasein zu rufen. Und die klug berechneten Orakelsprüche und Gedankenerratungen sowohl des ältesten Orakels zu Dodona wie jenes zu Delphi sind mir wohlbekannt. Aber darunter habe ich nie dem Ähnliches gefunden, wie dieser Knabe mir, wie auch dem Joram, von Wort zu Wort vorhielt, was wir ganz geheim unter uns besprochen haben!
27] Ich bleibe daher bei meiner ausgesprochenen Meinung und sage noch einmal ganz unverhohlen: Hinter diesem Knaben steckt mehr, als was wir alle je zu begreifen imstande sein werden! Ich will gerade nicht behaupten, daß er wegen seiner außerordentlichen Eigenschaften schon unfehlbar der anzuhoffende Messias sei; aber eher kann es offenbar er sein denn irgend jemand von uns allen, wie wir da versammelt sind!
28] Aber nun, mein lieber, holder junger Landsmann, möchte ich wohl, bevor es Abend wird, noch das ,Jerusalem' und den ,Melchisedek' von dir versprochenermaßen erklärt haben!«
29] Sagte Ich: »Das soll dir, weil du so gut für Mich geredet hast, auch werden. Nimm aber zuvor die beiden Eselsleser (Eselsohren) an den äußersten Spitzen in deine Hände und halte sie zwischen den Fingern etwas in die Höhe, und wir werden sehen, ob das auch die persischen Zauberer vermögen!«
30] Barnabe tat das, und Ich sprach: »Es werde zu diesen Lesern auch ein lebendiger und völlig gesunder Eselsleib!«
31] Im Augenblick stand ein gutgestalteter Esel mitten unter der Gesellschaft!
32] Da entsetzten sich alle wegen Meiner Wundertatskraft und machten Miene, die Flucht zu ergreifen.
33] Aber der römische Richter und Simon ließen das nicht zu und sagten: »Die Zeit muß eingehalten werden, und der Wunderknabe wird noch die zwei Worte erklären!«
34] Da setzten sich die Templer wieder und staunten den neugeschaffenen Esel verblüfft an, und keiner vermochte auch nur eine Silbe über seine Lippen zu bringen oder zu urteilen, wie etwa solches zu bewirken möglich wäre.
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