Jakob Lorber: 'Die drei Tage des 12-jährigen Jesus im Tempel'

7. Kapitel: Jesu Antwort auf des Hohenpriesters Rede. Von der Mission des Sohnes des Zacharias und von der Wundermacht des Zimmermannssohnes.

   01] Sagte der Richter zu Mir: »Nun, was sagst du, holder Knabe, zu dieser allerdings äußerst triftigen Rede des Hochpriesters?«
   02] Sagte Ich: »Was sollte Ich anders dazu sagen als: Entweder hat er recht, und der Prophet ist ein Lügner und hat somit kein Recht, oder das Unrecht fällt auf den Hohenpriester zurück, und der Prophet hat dennoch recht! Beide aber können unmöglich recht haben, da der Hochpriester gerade das Gegenteil von dem behauptet, was da der Prophet von der Ankunft des Messias geweissagt hat!
   03] So der Prophet spricht: »Siehe, eine Jungfrau - also kein Weib - ist schwanger und wird einen Sohn gebären; den wird sie Emanuel (d.h. ,Gott mit uns') heißen!«, wie behauptet dann der Hohepriester, daß der Messias nur unter den großartigsten Zeichen am Firmamente als ein allmächtigster Kriegsheld und als ein schon gemachter König über alle Völker der Erde rein vom Himmel herab unter dem größten Himmelsglorienpompe auf diese Erde zu den Menschen kommen werde?! Wenn es so wäre, was gewönnen da wohl die armen, schwachen Menschen, die voll der höchsten Furcht über die Erwartung der Dinge, die da kommen werden, mehr denn zur Hälfte verschmachten müßten?!
   04] Ich möchte da schier behaupten, daß solch eine Messiasankunft auch den Herren des Tempels sehr ungelegen käme und ihnen am Ende dennoch lieber wäre des Messias Ankunft auf jene bescheidene, höchst anspruchslose Weise, wie sie eben der Prophet Jesaias beschrieben hat!
   05] Es meinte aber der Hochpriester zuvor, daß die etwas wunderbare Geschichte mit dem Sohne des Zacharias, der eben von den Priesterhänden zwischen dem großen Opferaltare und dem Allerheiligsten ist erdrosselt worden, ganz zu Ende ist und niemand mehr daran denke.
   06] Ich aber sage, daß sie noch lange nicht zu Ende ist, als wie es diese Herren meinen, und es wird die Zeit ehest kommen, wo derselbe Johannes wie ein mächtiger Blitz unter sie fahren und ein großes Gericht halten wird unter ihnen. Seine Worte werden schärfer sein für euch denn die allerschärfsten Pfeile!
   07] Und wie die Geschichte des eben in Rede stehenden Johannes, so und als ein noch ärgeres Gericht wird jener Wunderknabe aus Nazareth über euch kommen und euch zeigen seine volle göttliche Herrlichkeit, aber etwa nicht zu eurer Auferstehung, sondern zu eurem Falle!«
   08] Hier machte der Hochpriester zornige Augen und sagte: »Woher weißt du denn das, du wahnwitziger Knabe? Wer hat dir in solchen Dingen den Kopf also verwirrt gemacht, und wer bist du denn, daß du es wagst, uns solche Dinge so keck zu sagen?«
   09] »Ich bin, der Ich bin, und woher Ich kam, das habt ihr aufgezeichnet. Was fragt ihr denn weiter, wer und woher Ich sei?! Zudem habe Ich es euch ja ohnehin schon gesagt, daß Ich aus Galiläa und eben auch aus Nazareth gekommen bin und daher den in Rede stehenden Knaben überaus gut kenne und durchaus nicht so dumm bin, um nicht die Taten eines Magiers - wenn auch sogar aus Indien - von jenen des Wunderknaben zu unterscheiden.
   10] Mache Mir von euch jemand aus Lehm zwölf Sperlinge und belebe sie bloß durchs Wort, daß sie dann auffliegen und gleich den andern sich ihre Nahrung zu suchen anfangen und fortleben!
   11] Wer von euch vermag wohl einem sich zu Tode gefallenen und ganz zerschmetterten Knaben augenblicklich durchs bloße Wort das Leben wiederzugeben und ihn leiblich vollkommen wieder zu heilen?!
   12] Wer von euch vermag dem Blitze zu gebieten, daß er dorthin und dahin fahre und erschlage eine Hyäne, die einer Mutter ihr einziges Kind raubte und damit dem Walde zueilte?!
   13] Wer von euch kann den Sturme, wie jener Knabe, gebieten bei einer großen nächtlichen Windstille und bei einer Gelegenheit, wo einigen Städten und Flecken eine große Gefahr durch eine zahlreiche Raubmörderhorde drohte, die nächtlicherweile auf einem großen Schiffe sich Kapernaum nahte, bei zweihundert Mann stark, die bis an die Zähne bewaffnet waren?!
   14] Der bewußte Knabe, der zur selben Zeit mit seinem Vater sich gerade in Kapernaum befand, rettete den ganzen Ort! Denn auf sein Wort erhob sich plötzlich einer der fürchterlichsten Seestürme, trieb das Schiff mit Pfeilesschnelle weit vom Ufer hinein in die hohe See, wo das ganze Schiff durch den zu mächtigen Wogenschlag zerstört wurde und mit all den zweihundert Raubmördern unterging.
   15] Das und viele derlei Taten hat jener Knabe schon verübt allzeit zum Wohle der irgend bedrängten Menschheit, und noch nie hat es jemand erlebt, daß er darum von jemand irgendeinen Lohn verlangte. Daß aber das keine Erdichtungen von Mir sind, dafür möget ihr zum Steuer der vollsten Wahrheit ganz Nazareth und Kapernaum zur Zeugenschaft anrufen.
   16] Wenn aber also, ist da jener Knabe wohl nur schlechtweg ein eingelernter Zauberer, oder tut Er alles das nur aus der Ihm in aller Fülle innewohnenden Gotteskraft? Oder erklärt es nun Mir, wie und mit welchen Mitteln der Knabe etwa nach eurer Kenntnis und Weisheit solches zustandebringt!
   17] Meine Vorfrage habt ihr Mir schlecht beantwortet. Wir werden nun sehen, was ihr auf diese Hauptfrage für eine Antwort bringen werdet, und wir werden dann auf die Vorfrage schon wieder zurückkommen und sie selbst zu einer Hauptfrage machen! Redet aber behende, denn der Tag neigt sich, und wir werden uns dann wohl um ein Abendmahl umzusehen anfangen!«


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